Predigt zum sommerfest 21. Juli 2019 / 5. mose 5,6ff (Matthias Uhlig)
Und ER sprach: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Gottesbild machen. Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen. Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen. Halte den Sabbattag, wie der HERR, dein Gott, es dir geboten hat. Ehre deinen Vater und deine Mutter. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen. du sollst nicht als falscher Zeuge aussagen gegen deinen Nächsten. Und du sollst nicht begehren,was deinem Nächsten gehört.
Ein älterer Herr sagte mir: Es ist gut, dass es die Kirche gibt. Einer muss uns doch die Moral beibringen. Irgendjemand muss doch unsere Jugend erziehen, dass sie nicht immer krimineller wird. Zum Glück gibt es die zehn Gebote. Wenn sich daran jeder hält, bleibt alles, wie es ist und wird so, wie es früher war, als alles noch gut war.
Ich verrate Ihnen jetzt etwas, was ich diesem älteren Herrn nicht verraten habe. Erstens wollte ich ihn nicht erschrecken, es war an seinem Geburtstag und zweitens wusste ich damals noch gar nicht, was ich in der letzten Woche gelernt habe.
Ich habe in der letzten Woche 5 Kapitel dieses Buches gelesen, das mir meine Frau empfohlen hat: „Maßstab Tora“ von Frank Crüsemann, erschienen 2003. Und ich habe gelernt, es gibt eigentlich gar keine 10 Gebote. Staunend las ich, dass hier ein Übersetzungsfehler vorliegt, denn im Originaltext wird von den zehn Debarim gesprochen, zu Deutsch, von den zehn Worten. Und mit dieser kleinen Übersetzungshilfe löst man ein Problem, das die Theologen, die Pfarrer und die Konfirmanden immer wieder vor Fragen gestellt hat, die niemand so richtig beantworten konnte.
Es gibt nämlich eigentlich nur 9 Gebote und Verbote, wenn man genau zählt. Und es sind keineswegs nur Gebote, sondern auch Verbote. Es sind eigentlich nur zwei Gebote: Du sollst den Feiertag heiligen und du sollst Vater und Mutter ehren. Und es sind 7 Verbote. Du sollst keine anderen Götter habe, du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen, du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, du sollst keine Fakenews in die Welt setzen, die anderen schaden und du sollst nicht durch Tricks an dich bringen, was deinem Nächsten gehört.
Weil es nur 9 Gebote und Verbote gibt, haben die Theologen jeweils ein Verbot zweigeteilt und so zwei Verbote draus gemacht. Bei Luther merkt man das sofort. Sein neuntes Gebot heißt, du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Im zehnten heißt es dann: Du sollst nicht begehren Deines nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was sein ist. Luther hat einfach aus einem Verbot zwei gemacht. Dasselbe finden wir im Katechismus bei Katholisch.de.
Die Reformierten teilen das erste Verbot in zwei Verbote
1. Du sollst keine anderen Göttes verehren.2. Du sollst dir kein Bildnis machen.
So erklärt sich, warum in reformierten Kirchen keine Bilder zu finden sind.
Tatsächlich ist es aber nur ein Gebot. „Du sollst dir keine Bildnis machen“ meint, kein Bild von Gott, denn er ist anders, du kannst ihn nicht abbilden.
Crüsemann betont, der bisherige Zählfehler darin liegt darin, dass man den grundlegenden Satz der zehn Gebote nicht mitgezählt hat. Er ist eines, ja sogar das erste der zehn Worte. Er lautet: „Ich bin der Herr dein Gott“ und er wird ergänzt durch die vorausgehende Rettungstat: „Ich habe dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit.“
Weil dieser erste Satz dazugehört, wird deutlich, worum es in den zehn Worten geht: Es geht um die Freiheit, die der Herr unser Gott seinem Volk geschenkt hat. Und es geht darum, diese Freiheit nicht wieder aufzugeben sondern sie zu schützen und zu bewahren. Ich erinnere mich an die berühmten Worte des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Er rief: “Wir wählen die Freiheit.“ Für die Freiheit muss man sich immer wieder neu entscheiden, mit jeder Tat, die man tut, mit jeder Vision, die man hat. Einige Mensch in Frankreich, in der Türkei, in Italien, in Polen, in USA, in Russland, aber auch bei uns hier in Deutschland sind heute bereit, einen Teil ihrer Freiheit aufzugeben. Sie möchten straffer geführt werden, sie möchten Menschenrechte außer Kraft setzen. Sie meinen, es würde vor allem die anderen treffen, an denen sie sich stören.
Aber es wird sie selber treffen. Zwei Dinge werden uns durch die zehn Worte ganz klar vor Augen gestellt:
1. Es gibt die Freiheit, wenn wir wollen, können wir in ihr leben.
2. Es gibt aber nur die Freiheit, die wir jedem anderen auch zubilligen. Diese Freiheit wird von allen Menschen für alle Menschen geschützt, gelebt, verteidigt, zugebilligt. Nur die Freiheit, die ich anderen zu geben bereit bin, kann ich für mich in Anspruch nehmen. Die goldene Regel gilt: Behandle die anderen so, wie du behandelt werden möchtest. Liebe die anderen so, wie du geliebt werden willst. Geh davon aus, dass man dich irgendwann so behandeln wird, wie du die Menschen behandelt hast. Die Freiheit gelingt, wenn sie von allen geschützt wird und für alle gilt. VON ALLEN- FÜR ALLE.
Ich weiß nicht, wie der ältere Herr, welcher so von den 10 Geboten schwärmte, sich die Durchsetzung dieser Regeln vorstellte. Hatte er vielleicht Luthers kleine Katechismus gelernt, in dem es heißt: Gott droht zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht gegen seine Gebote handeln. Interessant ist, dass nur in einem einzigen Verbot von Strafe gesprochen wird: Gott der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
Bei einem anderen Gebot heißt es: Gott wird die Schuld heimsuchen. Das brachte Luther zu seinen Ausführungen. Aber heimsuchen würden wir heute als inspizieren übersetzen, Controlling, Prüfung, ob die Kinder aus den Fehlern der Eltern lernen.
Wie die übrigen Verbote und Gebote zu verstehen sind, zeigt das Gebot zum Schutz der pflegebedürftigen alten Eltern. Dort heißt es: Deine Kinder werden von dir lernen, wie sie mit dir umgehen sollen, wenn Du alt geworden bist. Sie werden an dir ein Beispiel nehmen und dich so behandeln, wie du Deine pflegebedürftigen Eltern behandelt hast.
Und genau darum geht es auch bei allen anderen dieser 10 Worte. Es geht nicht um Strafe, wohl aber um Konsequenz. Es geht nicht um allgemeine Rufe zur Ordnung, sondern um die Tatsache, dass wir voneinander lernen. Es geht nicht um Moral, sondern um Gestaltung von Freiheit.
Die zehn Gebote sagen den jungen Menschen auch nicht, dass sie sich so verhalten müssen, wie es früher üblich war. Denn früher war vieles schlechter. Früher dachte man noch, Angriffskriege seien eine gute Sache. Und früher durfte eine verheiratete Frau nur arbeiten, wenn es ihr Ehemann erlaubte.Früher gab es Herren und Knechte, Oberschicht und Untertanen. Früher wurden Kinder in vielen Schulen mit dem Stock geschlagen.
Die zehn Worte aber sind Worte der Freiheit. Sie schützen keine Ordnung, die Menschen unfrei macht.
Es sind keine Worte eines bösartigen, überstrengen Vaters, dem es gefällt, wenn seine Kinder vor ihm Angst haben. Worte einer Mutter sind sie, die Ihr Kind zum letzten Mal auf seinem Schulweg begleitet. Nunerklärt sie ihm noch einmal alle Gefahren und alle verkehrten Wege gründlich.Beim nächsten Mal wird dieses Kind seinen Weg selbstständig gehen. Es wird gut zurück nach Hause finden.
Eines haben wir Christen bisher zu wenig beachtet. Die zehn Worte stehen nicht für sich allein. Sie sind Teil eines viel größeren Gesetzeswerkes. Es gibt manche schlauen Leute, die sagen: Ja, die zehn Worte lass ich gelten, daran halte ich mich. Aber was ich mit Hühnern mache, ob die im Freien leben dürfen oder im Käfig, das steht nicht in den Geboten. Da mach ich, was ich will und was mir mehr einbringt. Er weiß nicht, dass in den Gesetzen rund um die zehn Worte auch steht, wie man Tiere mit Respekt behandelt.
Und ein anderer sagt: die zehn Worte kenne ich auswendig. Sie sind meine Richtschnur. Aber wenn mein Konkurrent zahlungsunfähig wird, weil ihm einige seiner Schuldner ihr Geld nicht geben, dann kaufe ich seinen Betrieb auf. Er kann dann bei mir als Angestellter arbeiten.
Er weiß nicht, dass in den Gesetzen rund um die zehn Worte sehr viel von Solidarität und gegenseitiger Hilfe steht. Du sollst Deinem Bruder von deinem Überfluss leihen, wenn er in Not gerät. Du sollst allerdings keine Zinsen nehmen.
Vor kurzem habe ich eine erschreckende Story gehört. In Baden-Baden hat ein älteres Ehepaar eine Wohnung verkauft. Sie wollten nicht mehr, als sie brauchten, und so war der Kaufpreis verhältnismäßig günstig. Schnell fand sich ein Käufer. Doch einen Monat später war die Wohnung wieder ausgeschrieben, diesmal 30% teurer. Er sah, diese Wohnung ist günstig, die kann ich teurer vermarkten. Und die, welche sie gebraucht hätten, können sie dann nicht mehr kaufen.
Auf dem Liedblatt finden Sie am unteren Ende ein kleines Bild.Es drückt aus, wie die Gebote miteinander zusammenhängen.In der Mitte steht der Schutz des Lebens. Was brauche ich, dass ich leben und überleben kann. Da ist zunächst die Familie. Sie ist der Vertrauensraum wohin ich mich zurückziehen kann. Auch als alter Mensch kann ich mich darauf verlassen, dass man mich versorgt und mein Leben schützt, solange es dauert.Dann geht es um mein Leben im Alltag: ich darf arbeiten, aber ich darf auch ausruhen. Beides geschieht im Wechsel. Beides ist mir zugesichert. Und mein Eigentum, das was ich brauche und was zu mir gehört, nimmt mir niemand weg. Schließlich geht es um meine Ehre, niemand darf mich verleumden, Unwahrheiten über mich verbreiten. Aber auch Gott ist geschützt. Der Glaube muss respektiert werden. Er ist ein Teil des Lebens.
Schließlich: Ich möchte frei bleiben von Gedanken, Wünschen, Machenschaften, die mich fremdbestimmen. Neid, Intrigen, Verlangen nach Dingen, die anderen gehören rauben mir meine Kraft und meine Zeit. Ich widme mich dem, was zu mir gehört. Ich widme mich dem Gott, dem ich vertraue. Ich schere nicht aus, suche nicht nach Alternativen, konzentriere mich auf meine Begabungen, meine Sicht des Lebens, mein Leben genügt mir. Ich bin etwas Besonderes und Du auch.
So entsteht eine bunte Gemeinschaft, von vielen verschiedenen Menschen die alle besonders sind, alle sind originell. Und gerade deshalb sind sie stolz aufeinander, sind einander zugetan, respektieren sich gegenseitig und freuen sich darüber, Gottes Volk zu sein.
Gottes Liebe ist für sie alle und von ihnen allen empfängt er Lob, Vertrauen, Gegenliebe und Respekt.
Gottes Volk hat viele Farben. Nur dann ist es bunt. Und nur dann spiegelt es die Artenvielfalt des Lebens. Dies hat Gott so gewollt, deshalb hat er uns so geschaffen. Amen